Fall des Monats

 

Amputation mit Happy End

Es erzählt: Dsungarische Zwerghamster-Dame „Ygritte“, 10 Monate

«Soeben haben Sie gelesen, wer hier seine Krankengeschichte schildern darf. Hand aufs Herz: Haben Sie die Stirn gerunzelt, die Augen verdreht und fast mitleidig gelächelt? Ein Hamster! Ein Fellknäuel in Miniaturformat, das sich in einem Laufrad fit halten muss, Tunnelsysteme und Nestkammern gräbt und sich in der Regel erst in der Dämmerung zeigt. Sind Ihnen solche Gedanken durch den Kopf geschossen?

Das sind alles nur Vorurteile, ganz ehrlich. Wir Hamster gehören in Sachen Körpermasse wohl zu den kleineren Erdenbewohnern. Aber mit unsereiner, mit den Phodopus sungorus, wie wir Dsungarischen Zwerghamster wissenschaftlich heissen, ist zu rechnen. Schliesslich haben wir es von den Steppen des nordöstlichen Kasachstans und von den unendlichen Weiten des südwestlichen Sibiriens bis in die hiesigen Breitengrade geschafft. Unser Erscheinungsbild mag zwar ein kleines sein, aber mit unserem Fellkleidchen, das sich im Sommer in den schönsten Grau- bis Dunkelbraun-Tönen (zuweilen durchsetzt mit hellbraunen Mèches) und in den Wintermonaten weisslich-beige und flauschig präsentiert, gehören wir mit Sicherheit zu den eleganteren Wesen.

Aber genug des Eigenlobs. Vernehmt meine Geschichte, die tragisch beginnt und beinahe tragisch geendet hätte – wären da nicht ärztliches Know-how und Fingerspitzengefühl dazwischengekommen.

Fussgelenk eingeklemmt

Es war Ende Dezember 2020.

Wie schon so oft seit ich am 1. April 2020 (kein Witz!) das Licht der Welt erblickte, begab ich mich auf Erkundungstour durch meine Behausung.

Im Eiltempo fegte ich durch Holzspäne, über kleine Leitern rauf und wieder runter, durch Kartonröhren und hohle Baumstämme und via Gitterstäbe wieder zurück zum Ausgangspunkt.

Es geschah ganz plötzlich: Mein Fussgelenk hinten rechts wurde zwischen Holzwand und Plexiglasverkleidung eingeklemmt und heftig gequetscht. Es schmerzte höllisch.

Meine beiden erwachsenen Menschenfreunde – ein Männchen und ein Weibchen – brachten mich schnellstmöglich in die Kleintierklinik S. in Flamatt.

Medikamente verweigert

Ich wurde auf den Untersuchungstisch drapiert und lag nun in meiner ganzen Pracht vor den untersuchenden Ärzten.

Sie staunten nicht schlecht über die vor ihnen liegenden acht Zentimeter Hamster mit einem stattlichen Gewicht von 27 Gramm. Grösste Aufmerksamkeit widmeten sie aber meiner Verletzung und stellten dabei fest, dass das Fussgelenk nicht nur gequetscht sondern scheinbar auch frakturiert war.

Umgehend wurden erste Notfallmassnahmen ergriffen; ich erhielt schmerzlindernde und entzündungshemmende Medikamente. Dann wollte man die Behandlung fortsetzen.

Um ehrlich zu sein: Die Medizin schmeckte scheusslich, so dass ich mich sehr erfolgreich gegen eine weitere Verabreichung zur Wehr setzte.

Doch die Schmerzen waren unerträglich, in meiner Verzweiflung benagte ich die lädierten Stellen, was die ganze Situation allerdings nur noch schlimmer machte

Amputation unumgänglich

In der Folge entschied sich der Tierarzt für eine krasse Notfall-Operation: Mein rechter Fuss und der Unterschenkel sollten unterhalb des Kniegelenks amputiert werden. Die Verletzung sei zu gravierend, als dass eine anderweitige Behandlung Heilung versprechend würde.

Ich sage Ihnen – der Schock sass tief bei mir. Meine Menschenfreunde stimmten dem Eingriff jedoch zu, zumal es wohl die einzige Möglichkeit war, mein grundsätzlich schon kurzes Leben (Dsungarische Zwerghamster haben eine Lebenserwartung von zwei bis drei Jahren) zu retten.

Sie liessen sich auch dann nicht umstimmen, als der Arzt von einer Risiko-Operation sprach. So wurde ich wohl oder übel auf den OP-Tisch verfrachtet, sediert und mit Isofluran, einem volatilen Anästhetikum, narkotisiert.

Die Fachwelt spricht in diesem Fall von einer Inhalationsnarkose. Während meines Aufenthalts im Land der Träume wurde mein Unterschenkel entfernt. Man verabreichte mir Antibiotika, Schmerzmittel und Entzündungshemmer.

Und während in vielen Haushalten der Schweiz am 31. Dezember um Mitternacht die Korken knallten, dämmerte ich – kuschelig warm gehalten – in der Kleintierklinik S. AG dem Neujahrsmorgen entgegen. Im Verlaufe des Tages durfte ich dann in meine eigenen vier Wände zurückkehren.

Zwölf Tage Vorsicht

Der Arzt rechnete mit einer Wundheilung innerhalb von zwölf Tagen. In dieser Zeit lösten sich die Fäden an meinem vernähten Beinstumpf ab.

Zweimal durfte ich noch zur Kontrolle in die Klinik, wo man sich über den guten Heilungsverlauf natürlich freute.

Ich bin heute wieder voll auf dem Damm und mache die Wohnung nun auf drei Beinen unsicher.

Bitte sagen Sie das aber nicht meinem Frauchen. Das hat nämlich keine Ahnung davon, dass mich Herrchen hin und wieder frei laufen und austoben lässt – aber nur, wenn wir allein zuhause sind...“

Klinik für alle Fälle

Der „Fall Ygritte“ ist ein Paradebeispiel für das grosse
Engagement des Teams der Kleintierklinik S. im freiburgischen Flamatt.

Die Beinamputation bei der Dsungarischen Zwerghamster-Dame war filigranste Präzisionsarbeit. Das Tier brachte nur 27 Gramm auf die Waage, beim Eingriff war höchste Konzentration erforderlich. Ausserdem bedeuten Sedierung und Narkotisierung eines derart kleinen Tieres jeweils eine grosse Herausforderung.

Der Einsatz macht deutlich, dass man sich in der Kleintierklinik für alle Tiere gleichermassen stark macht – vom kleinsten, nur ein paar Gramm leichten Hamster bis hin zur 80 Kilogramm schweren Deutschen Dogge.